Ökologische Verbesserung und Hochwasserschutz
11.11.2014
HYDRO_AS-2D – Informationstag 2014
11.11.2014

NASIM mit hydrodynamischem Rechenkern modelliert Rückstaueffekte korrekt

In Mündungsbereichen von Flachlandgewässern kommt es bei höheren Wasserständen häufig zu dynamischen Rückstaueffekten. Die dabei entstehenden Abflüsse und Fließrichtungswechsel konnte das NA-Modell NASIM aufgrund seines hydrologischen Modellansatzes bisher nicht modellieren. Hydrotec hat im Auftrag des Niersverbands für NASIM einen hydrodynamischen Rechenkern entwickelt (NASIM HDR). Anwender können damit von Rückstau geprägte Fließverhältnisse zukünftig korrekt abbilden. Der hydrodynamische Rechenkern wird als auswählbare Berechnungsmethode in NASIM integriert werden.

Jabrondaten zu NASIM

NASIM-Anwender können künftig Querprofil-Daten aus Jabron einlesen, um mit dem neuen Rechenkern hydrodynamische Fließvorgänge abzubilden.

Rückstau durch geringes Sohlgefälle

Große Abschnitte der Niers und ihrer Zuflüsse weisen ein sehr geringes Sohlgefälle auf. Im Hochwasserfall staut sich das Wasser in den Einmündungen der Nebengewässer häufig und fließt nur eingeschränkt bzw. zeitlich verzögert in die Niers. Dieser Prozess war z. B. bei den Hochwasserereignissen im August und November 2010 zu beobachten.

Auch im Mündungsbereich der Niers kann sich bei hohen Wasserständen der Maas ein Rückstau von mehreren Kilometern bilden.

Wenn in einer solchen Fließsituation Wasser in das Gewässer eingeleitet wird, sind die Fließrichtung und der Abfluss abhängig vom Wasserstand. Dieser Effekt tritt insbesondere dort auf, wo leistungsfähige Pumpen in gefällearme Gewässerstrecken entwässern.

Hydrodynamisch rechnende NASIM-Version

In der aktuellen NASIM-Version werden Rückstaueffekte berücksichtigt, soweit diese durch zugrundeliegende stationäre Wasserspiegelrechnungen abgebildet wurden (z. B. Engstellen, vorgegebene Wasserstände). Dynamische Rückstaueffekte, wie sie z. B. bei unterschiedlichen räumlichen Niederschlagsverteilungen, externen Wehr- oder Pumpsteuerungen auftreten, konnten mit NASIM bisher nicht modelliert werden.

Der Niersverband beauftragte Hydrotec Ende 2013 mit der Entwicklung einer hydrodynamisch rechnenden NASIM-Variante. Die Umsetzung des komplexen Vorhabens erfolgte schrittweise mit einer Machbarkeitsstudie, der Entwicklung eines hydrodynamischen Rechenkerns auf Basis der diffusen Wellenapproximation sowie dem Test der Software an einem Gewässerabschnitt.

Aktuell arbeiten wir in einem Pilotprojekt mit dem Wasserverband Eifel-Rur an einer Studie, die die Ergebnisse des hydrodynamischen Rechenkerns mit denen des 2D-Hydraulik- Programms SOBEK (Deltares) vergleicht.

Funktionsweise und Eigenschaften des hydrodynamischen Rechenkerns

Bei der diffusen Wellenapproximation wird die Saint-Venant-Gleichung vereinfacht, sodass man die folgenden Modellgleichungen erhält:

Saint-Venant-Gleichung

Nach dem Fließgesetz von Darcy-Weißbach hängt der Abfluss von der durchströmten Fläche und dem Gefälle ab. Wegen der zweiten Gleichung kann das Modell weiter vereinfacht werden. Es bleibt die Gleichung:

Saint-Venant-Gleichung 2

Die Funktionen y(A) und C(A) beschreiben die Wasserhöhe bzw. die Conveyance (Durchleitung) in Abhängigkeit der Fläche. Sie werden für jedes Querprofil aus der Geometrie und den Rauheiten in Jabron nach Merkblatt DVWK 220 berechnet. Das Merkblatt beschreibt Verfahren zur ungleichförmigen, stationären Bestimmung von Wasserspiegellagen. Diese Verfahren wurden auf die Berechnung der Conveyance übertragen.

Die diffuse Wellengleichung wird im NASIM-Rechenkern durch ein versetztes Gitter im Ort und ein implizites Verfahren in der Zeit numerisch gelöst. Das implizite Verfahren zusammen mit einem speziell angepassten gedämpften Newtonverfahren ermöglicht große Zeitschritte von einigen Minuten, wie sie in NASIM üblich sind. Ferner werden moderne Verfahren zur Behandlung dünn besetzter Matrizen intelligent eingesetzt, so dass die Rechenzeit des im Vergleich zum hydrologischen Modell aufwändigeren hydrodynamischen Modells nur leicht ansteigt.

Aufgrund der Umsetzung der DVWK-220-Ansätze rechnet der Rechenkern für stationäre Abflusssituationen Wasserspiegel aus, die mit den von Jabron berechneten vergleichbar sind.

Hydrodynamischer Rechenkern besteht Praxistest

Als Anwendungsbeispiel simulierten wir die Mündung des Trietbach und den Oberlauf der Niers mit dem hydrodynamischen NASIM-Rechenkern. Dort wurden bei einem Hochwasserereignis im August 2010 die oben beschriebenen Rückstaueffekte beobachtet.

Die nachfolgende Abbildung zeigt den hydraulischen Längsschnitt des Trietbach und seinen mit dem hydrodynamischen Rechenkern berechneten Wasserspiegel (blau). Damit wird deutlich, dass der neue Rechenkern in der Lage ist, einen zur Mündung hin ansteigenden Wasserstand abzubilden.

Rückstau im Längsschnitt

Modellierung des Rückstaus an der Mündung des Trietbach in die Niers mit dem hydrodynamischen Rechenkern.

Weniger Aufwand, weniger Fehler, gleiche Performance

Zurzeit ist die Verknüpfung eines hydrologischen Modells mit einem hydrodynamischen Modell für den Modellierer mit einem hohen Aufwand verbunden. Viele händisch durchzuführende Arbeitsschritte machen diesen Vorgang außerdem fehleranfällig und schwer nachvollziehbar.

Mit der Integration des hydrodynamischen Rechenkerns in NASIM entfallen diese Nachteile. Der Aufwand für seine Anwendung ist vergleichbar zum Aufwand für ein klassisches hydrologisches Modell. Auch die Rechenperformance bleibt im Vergleich zum nichtlinearen Kalinin- Miljukov-Ansatz nahezu konstant.

Ausblick: Einbindung in NASIM und Kanalnetzsimulation

Der hydrodynamische Rechenkern soll in einer künftigen NASIM-Version als alternative Berechnungsmethode in NASIM integriert sein. Teile des NASIM-Systemplans, für die dynamische Rückstaueffekte relevant sind, können dann hydrodynamisch berechnet werden, wobei das restliche Modell mit der bisherigen Methode bestimmt wird. Das Modell eignet sich auch für geschlossene Profile und Kanäle. Für kürzere Abschnitte wurde dies bereits erfolgreich nachgewiesen. Aktuelle Untersuchungen sollen Möglichkeiten und Grenzen im Bezug auf Kanalnetze aufzeigen.

Dr. rer. nat. Eva Loch, Dipl.-Math. Benedikt Rothe